Phänomenologie des One Size Fits All: Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Frank Zappa
Zappanale #14
von Ben Watson
Friday 13.00 25ten Juli 2003, Kamptheater, Bad Doberan, organisiert von der Arf Society
Für viele Zappafans ist One Size Fits All eine Lieblingsplatte. In den Jahren 1989 und 1991 hat T'Mershi Duween, das Zappa-Zine aus Sheffield, England, seine Leser abstimmen lassen. Jedesmal wurde One Size Fits All als beliebtestes Album (Lieblingsalbum) ausgewählt. So sahen die Ergebnisse aus. [DIA 1: T'Mershi Duween #23, S. 14)] Vorhersagbar war, daß Hot Rats schon viele Punkte sammeln würde. Es war das erfolgreichste Album, das Zappa in Grossbritanien veröffentlichte und es erreichte Platz Nummer 9 in der Hitliste im Jahre 1970. Wie Zappa gesagt hatte, in The Real Frank Zappa Book, ‘für unsere innig geliebten Freunde von den britischen Inseln ... scheint es das einzig gute Zappa Album zu sein, das je veröffentlich wurde’ (s. 109). Bei diesem Album fehlen sowohl die üblichen (charakteristischen) Unterbrechungen, Überraschungen, Grunzen, Obszönitäten wie auch das plötzliche Durcheinander (die Chaosausbrüche) oder das Plaudern (die gesprochenen Worte). Von den Briten wird Hot Rats genau so verehrt wie Fillmore East in Australien, Apostrophe (') in den Vereinigten Staaten und Joe's Garage in Norwegen.. Es scheint so, daß kommerzieller Erfolg bei Zappa eher zufällig als gemacht ist.
Aber warum sollte gerade One Size Fits All so erfolgreich sein bei der T'Mershi Duween Abstimmung im Jahre 1989 und nochmals 1991? Ich glaube, daß jedes Album von Frank Zappa ‘fraktal’ ist – wie ein Kristall oder eine Zelle mit DNS enthält jedes Bruchteil genügende Informationen, um das Ganze wiederherzustellen. Untersucht man irgendein Lied oder irgendeine Melodie oder Zeile, so findet man darin das ganze Universum Frank Zappas – einschließlich der amoralischen triebhaften Energie, der Skepsis gegenüber jeder kulturellen und sozialen Hierarchie, der Unduldsamkeit Achtung und Anstand gegenüber und der Freude am Blödeln (am Absurden) und beim Aufeinanderprallen-lassen der Gegensätze. Aber es ist doch was besonderes an One Size Fits All, und es ist eigentlich gar kein Zufall, daß es bei einer Abstimmung von hardcore- Fans, Leuten die ein Zappa-Zine abonnieren, als ihr beliebtestes Album gewählt werden sollte. Bei One Size Fits All gelingt es Zappa, viele Themen in einem bunten Knoten zusammenzuweben, der sowohl ‘Live’ und ‘Studio’, spontan und komponiert, kollektiv und eigen, kosmisch und frevelhaft, ernst und albern ist. Er findet das Unendliche im Endlichen wieder – so wie Ihr beim Musikhören.
Als der Schauspieler Daniel Rohr und das Theater ‘Neumarkt’ aus Zürich letztes Jahr Alles über Zappa in diesem Theater vorgespielt haben, haben sie ein großes rotes Sofa auf die Bühne gesetzt. Das Idee kam vom Umschlag von One Size Fits All, bei dem Cal Schenkel ein Sofa, das von Lynn Lascaro gezeichnet wurde, in sein Design aufgenommen hatte. Eine Münze erscheint auch dabei und auch noch Abziehbilder, Menschen und Flugzeuge und die Londoner U-Bahnkarte, mit Umsteigen bei U-Bahnhöfen in New York und Los Angeles. Hier haben wir den Traum eines Musikers, der die ganze Welt umfährt und die Großstädte der Welt als eine einzige große Stadt erfährt.
Cal Schenkel machte solche passenden Hüllen für Zappas Platten, weil er eine ähnliche dadaistische Sensibilität hat. Anstatt mit einer leeren Leinwand anzufangen, wie ein "richtiger Künstler", bastelt er etwas zusammen aus herumliegenden Sachen. In der unteren linken Ecke macht er die Collagemethode deutlich, in dem er eine gefundene Zeichnung einsetzt, um die Konstellation Andromeda darzustellen – diese Zeichnung wurde unmittelbar angeklebt. Wie die Musik Zappas – sein Projekt/Objekt – geht der Künstler vor, indem er fremde Elemente einverleibt, genauso wie das Lebewesen selbst tun (d.i. beim Essen und bei der Verdauung).
Man merkt auch, daß auf den Umschlägen oft Frank Zappas Hände vorkommen. Dieses Leitmotiv erschient zuerst mit der Hand der Kleiderpuppe, die bei der Sgnt. Pepper Parodie We're Only In It For The Money sichtbar ist. [DIA 2: die Hand von Money] Die Hände dringen in den Rahmen ein. [DIA 3: Hand - Uncle Meat] [DIA 4: Hand - Weasels] [DIA 5: die Hände von Burnt Weeny] [DIA 6: die Hand, die die Strassenlampe in Ordnung bringt - Overnite Sensation] [DIA 7: die Hand die eine Zigarette nimmt - Overnite Sensation] Aus jeder Hinsicht ist One Size Fits All ein ‘großartiges’ Zappa Album: alles wird vervierfacht, alles ist ‘quadrophonisch’. Auf dem Umschlag von One Size Fits All findet man nicht weniger als vier Hände, die alle in den Rahmen hineindringen. [DIA 8: Hand mit Bürste - OSFA] [DIA 9: Hand mit dem Mond - OSFA][DIA 10: Hand die Saturn dreht - OSFA] [DIA 11: Hand die eine Zigarre hält - OSFA] Nehmt bitte das Kreuz wahr - ein Kreuz mit drei Ausstrahlungen. Dies nennt man ein ‘Pachuco Cross’ – Ich sage dazu noch später etwas. Diese Hände zeigen, daß das, was wir sehen und hören, keine:
magische Musik (ist) von Menschen, die in die Welt eines sonderbaren purpurnen Gelee eintreten (Absolutely free)
sondern eher Motive sind, die man ganz bewußt innerhalb eines Rahmens gesetzt hat. Wie er sagte, im "The Real Frank Zappa Book", ‘ein Rahmen macht es möglich, Kunst vom irgendeinem Scheiß an der Wand zu unterscheiden.’ Wie die Dadaisten, besteht Zappa darauf, daß die Kunst kein magisches Fenster sei, die auf einen höheren mysteriösen Bereich hinausguckt, keine transzendente Erfahrung, sondern eher eine Sammlung alltäglicher Dinge, die für eure Aufmerksamkeit zusammengestellt wurden.
Für den Umschlag des One Size Fits All zeichnete Schenkel Schaubilder, die Holzschnitte aus dem siebzehnten Jahrhundert nachahmten. Diese deuten auf die Epoche, bevor die schönen Künste und die Naturwissenschaften voneinander getrennt worden sind. Aber die Schaubilder beschreiben ein modernes Produkt der neueren Technologie – eine Langspielplatte. [DIA 12: Links und im Zentrum des Schaubilds oben links auf den Umschlag OSFA] Hier ist die ‘Platte’ mit ihren Rillen (‘GRUUVs’), ihrem Etikett (‘LABEL’) und ihrem Loch (‘hole’). Die alchemistischen Zeichen für die verschiedenen Planeten sind ebenfalls hier gelistet.
Eine solche Art des ‘kosmischen Archaismus’ war nicht auf Zappa und Schenkel beschränkt. Im gleichen Jahr veröffentlichte Tamla Motown Cosmic Truth (Die Kosmische Wahrheit) von The Undisputed Truth (Die Unbestrittene Wahrheit). Wie One Size Fits All, enthält das Album ein Lied das von UFOs handelt. Der Umschlag zeigt ebenfalls die Sterne. [DIA 13: Umschlag -- Cosmic Truth] Cosmic Truth stellt auch den berühmten Holzschnitt dar, auf dem ein Pilger seinen Kopf durch die Sternensphäre (engl. "canopy of the stars" – das deutsche Wort für Sofa ist bekanntlich Kanapee !) stößt, um die HERRlichkeit zu bewundern. [DIA 14: Ausschnitt (von der hinteren Seite) - Cosmic Truth] Im Jahre 1975, veröffentlichte The New Birth ein Album namens Blind Baby, von Buddha herausgegeben. Die Musiker stehen vor einem sternenklaren Himmel; ihre Tierkreiszeichen, Instrument und Geburtsort sind aufgeführt.[DIA 15: Blind Baby - Innern] Gleichzeitig nahm George Duke ein Album mit einem DJ auf, der Horoskope der Sternzeichen vorlas. Im Jahre 1975 war die Astrologie modisch unter dem schwarzen Publikum, und deshalb bezieht sich One Size Fits All darauf, genauso wie Zappa George Duke und Napoleon Murphy Brock dazu angeregt hatte, den aktuellen Straßenslang auf der Bühne zu improvisieren.
Wie üblich ist die Einstellung Zappas zugleich feierlich und satirisch. In ‘Camarillo Brillo’, auf Overnite Sensation, werden die ‘voodoo’ Geräte der ‘magischen Mama’ als falsche Waren enthüllt, nicht falsch in dem Sinne aber ist das ‘Unconcho’ (Unconsciousness – Bewußtlosigkeit), die man beim sexuellen Verkehr erfährt. (‘Is that a Mexican poncho or a Sears poncho?’ d. h. ‘ist das ein echtes Poncho in Mexico gekauft oder hast Du das vom Versandhauskatalog gekauft?). Mit ‘Camarillo Brillo’, ist es Zappa gelungen, ein Lied zu schreiben, das die Bemerkung von Wilhelm Reich erklärt:
Der Mystizismus ist nichts anderes als die unbewußte Sehnsucht nach dem Orgasmus (kosmischen plasmatischen Gefühlen). Die Massenpsychologie des Faschismus
(The Mass Psychology of Fascism, 1946, Penguin S. 199)
In ‘Dancin' Fool’, auf Sheik Yerbouti, und ‘Sy Borg’, auf Joe's Garage, sind die Tierkreiszeichen noch mehr erniedrigt: jetzt dienen sie halt als der Unsinn, den man quatscht, wenn man einen Partner sucht.
Im Gegensatz zu den Motown- und Buddha-Umschlagdesignern, benutzt Schenkel die alten Bilder nicht für ihr kosmisches Gefühl. Stattdessen stellt er mystische Begriffe satirisch dar, indem er jede Menge alltäglicher Haushaltsgerätschaften einführt. [DIA 16: Schaubild links oben - OSFA] Hier werden die verschiedenen Stadien der Grammophontechnologie dargestellt: mono, stereo, quadrophonisch. Overnite Sensation wurde als Quad veröffentlicht, Quad aber fand keinen Erfolg. In der Ecke des Umschlags sind die Buchstaben CS und LL geschrieben – d.h. Cal Schenkel und Lynn Lascaro – und die erscheinen neben dem Datum 1675. Schenkel versucht uns die Plattenindustrie vom Blickwinkel des Historikers zu präsentieren – die Ansprüche auf Klangtreue und Wahrheit und Aktualität werden eines Tages genau so putzig scheinen als die Schaubilder in den Büchern des siebzehnten Jahrhunderts. Das Schaubild unterscheidet zwischen verschiedenen Niveaus: die Erde, umbenannt in ‘Terra del Fuego’, die Atmosphäre ‘Ubber Alles’ (das bezieht sich auf das Lied ‘Deutschland Über Alles’, das auch einen Widerhall in Daniel Rohrs Titel Alles über Zappa findet) und dann ‘Outer Space’ und ‘Mysterium Magnum’. Es basiert auf einer Radierung von Theodore de Bry in einem Kompendium der obskuren Wissenschaften von Robert Fludd, ein Engländer, der im siebzehnten Jahrhundert lebte, und der verantwortlich sein dürfte für einige der schönsten illustrierten Bücher seiner Zeit. Das Schaubild von de Brye zeigt die Hand Gottes, als er den ‘himmlischen Monoaccord’ stimmte – noch eine Hand dringt in den Rahmen ein – und zieht dabei Parallelen zwischen der harmonischen Serie von Pythagoras und den vier Elementen – die Erde, das Wasser, die Luft und das Feuer. Dieses Schaubild wurde auf den Umschlägen der drei-bändigen Anthology of American Folk Music Harry Smiths verwendet, veröffentlicht 1952 auf Folkways Records. Diese war eine Anthologie amerikanischer Musik aus Smiths Sammlung alter Platten – blues, gospel, hokum, hillibilly – die der aufkeimenden Volksliedbewegung ihr Repertoire gaben. Die Bände waren rot, blau und grün, sie sollen damit Feuer, Luft und Wasser symbolisieren (der vierte Band, der braun, wegen der Erde, gewesen wäre, wurde posthum veröffentlicht) [DIA 17: Umschlag - American Folk Music: Volume One Ballads] Wie bei der Musik Zappas, ist der Einsatz des Fludd-Schaubilds aus Spaß getan und soll nicht als ehrfürchtig verstanden werden. Die Einbeziehung des Schaubilds ist ein Versuch, sich lustig über die ‘Hippie-Mystik’ zu machen. Das Lachen, wie die sexuelle Anziehung, ist eine unwillkürliche Reaktion – eine Nachricht des ‘Unconcho’ oder des Unbewußtseins und nicht des bewußten Geistes. Wie die Musik, entblößen das Lachen und der Sex das Bewußtsein als verdrängt und beschränkt.
Um den Planet Merkur darzustellen, benutzt Schenkel eine amerikanische Münze, ein ‘Dime’, ein Zehncentstück (wie beim Lied ‘Can't Afford No Shoes’). Es zeigt den Kopf des romanischen Gottes Merkur mit seinem Flügelhelm und den Worten ‘Freiheit’ und ‘In God We Trust’. Wenn wir den Gott vertrauen sollen, ist es nur richtig zu fragen, wo er sei und was er hier macht.
Die Hand Gottes, die durch eine Wolke durchstößt, ist ein Klischee der Zeit. Beim Kupferstich Theodore de Brys wird die Schönheit und die Ordnung der harmonischen Serie als durch ein bewußtes Wesen geformt gezeigt. Dieses bewußte Wesen machte die Menschheit nach seinem Bild. Schenkel übertreibt diese menschenähnliche Idee Gottes bis sie blödsinnig wird. Wenn Gott die Harmonie schuf, müßte er auch Saturn geschafft haben. Vielleicht, wie ein sterblicher Mensch, hat er auch Fehler gemacht, wie zum Beispiel Saturn mit einem viereckigen Ring entworfen. [DIA 18: N.G. Arbeitet Nicht Schaubild - OSFA] Wenn Gott menschlich wäre, dann müßte Er typisch menschliche Genüsse genießen. Das planetarische Schaubild hat ein weiches Zentrum aus Karamell, wie ein Bonbon, und die verschiedenen Schichten des Schaubilds, die die Drehmethode bei Saturn illustrieren, heißen ‘Natrium und Schwefel’, ‘Whisky und Natrium’ und ‘Natrium und Gomorrah’, auf Englisch ‘Sodium and Gomorrah’ ein Wortspiel auf das biblische ‘Sodom und Gomorra’. Dabei werden urkosmische Elemente, altmodische Arten des Whiskytrinkens und göttliche Vergeltung zusammengebracht. Und wie der typische Boß, raucht der Gott eine Zigarre: Schenkel stellt die Hand mit Zigarre genau da auf, wo eure rechte Hand erscheinen würde, wenn ihr den Albumumschlag halten würdet. Die Tätowierung wurde von Frank Zappa und den Mothers als ‘Pachuco Kreuz’ benannt. Das ist ein Symbol, das ein mexikanischer Amerikaner – d.h. ein Römisch-Katholischer – vielleicht auf seiner Hand tätowiert haben würde. Die drei Linien des Kreuzes symbolisieren die heilige Dreieinigkeit – den Vater, den Sohn und den heiligen Geist. Ein Pachuko Kreuz erschient auch auf der Rückseite von Absolutely Free, der einzige Umschlag den Zappa selbst gezeichnet hat. [DIA 19: Pachuco Kreuz - Absolutely Free] Hier wird das Pachuco Kreuz mit allerlei sozialen Übeln assoziiert – zum Beispiel: das Fernsehen, Wein- und Spirituosen-Geschäfte, die Kirchen und Gott. Die Namen ‘Benny’, ‘Ruben’, ‘Martha’, ‘Steve’ and ‘Joe’ sind um das Kreuz geschrieben, und sie sehen aus wie die Grafitti einer Jugendgang. Auf Cruising with Ruben & the Jets, erschienen die Bandmitglieder mit Hundeschnauzen. Dies wird später als Ergebnis eines bösen Komplotts von Onkel Fleisch erklärt (in ähnlicher Weise werden die Kartoffelköpfe auf Thing-Fish hervorgebracht, durch das ‘secret POTIUM’, das heißt ein geheimes Rezept für einen Trank, vom üblen Prinz aufgekocht). Die Geschichte von Ruben and the Jets endet mit den Worten: ‘Ruben hat drei Hunde, Benny, Baby und Martha’. Es ist, als ob die Gang eine Fantasie Rubens wäre – er hat eigentlich nur die Namen seiner Hunde aufgeschrieben! Die Reklame, die vorschlägt ‘Kaufen Sie sich doch einen Fydo, es paßt ganz gut zu Ihnen’ beginnt die Pudelkontinuität im Werk Zappas (und ruft auch den Titel von One Size Fits All wach). Diese Kleinigkeiten sind ein Teil des Durcheinanders einer typischen amerikanischen Einkaufsstraße: Autos, Reklamen, Sternenbanner, die Einberufungsbehörde und tote Bäume. Wie gewöhnlich, statt eine Nachricht abzugeben, dokumentiert Zappa die alltäglichen Banalitäten. Aber, wie Philip K. Dick, dessen erste veröffentlichte Kurzgeschichte [‘Roog’, Fantasy & Science Fiction, Februar 1953] aus dem Blickwinkel eines Hundes erzählt wurde, und wie Franz Kafka, dessen ‘Forschungen eines Hundes’ die Beziehung eines Hundes zur Musik untersucht], benutzt Zappa diesen Vergleich zwischen Menschen und Hunden, um herauszufinden, was die Menschen sind und was sie sein können. Vielleicht ist das Pachuco Kreuz auf der Hand Gottes ein Zeichen, daß Gott besser rückwärts verstanden werden solle - d.h. als ein Hund. [DIA 21: ‘GOD’] [DIA 22: ‘DOG’] [DIA 22: ‘DOG’ on Breeding from your Poodle] Vielleicht ist der Zuhörer zugleich Gott und Hund, zerspaltet zwischen der Hoffnung auf das Göttliche und seinen tierischen Trieben.
Das ‘Sofa’ Lied ist Teil einer gotteslästerlichen und obszönen Suite von Liedern, die Zappa zuerst mit Flo und Eddie auf seiner europäischen Tournee im Jahre 1971 aufführte (z.B. The Ahoy, Rotterdam, 27-Nov 1971). Gott dreht einen Pornofilm, in dem er seine Freundin dazu veranlasst, ein magisches Schwein namens ‘Squat’ auf dem Sofa zu ficken. Die Suite schließt Lieder ein, die später veröffentlicht wurden als ‘Es War Einmal’ [Stage Vol. 1], ‘Sofa’ [OSFA] und ‘Stech Es Aus’ [Joe's Garage Acts II & III], dabei werden zwei Lieder mit deutschen Texten zusammengetan, die eigentlich zur ganz verschiedenen Zeiten veröffentlicht wurden. Diesmal wurde ‘Sofa’ mit deutscher Walzermusik eingeführt, in einem Arrangement, das nach Bierkellern riecht. Es gibt da die Worte ‘Ich bin The Chrome Dinette’, ein Beispiel eines solchen erscheint hinter dem Sofa auf dem Umschlag Schenkels. [DIA 23: Chrome Dinette - OSFA] Für die Englisch-sprechenden Zuhörern ruft eine übertriebene Melodie wie ‘Sofa’ auf deutsch gesungen – wie biergetränkt die Musik auch sein mag – die gigantischen Opern Richard Wagners in Erinnerung. In Rotterdam, entschuldigten sich Zappa und Flo und Eddie dafür, daß sie auf deutsch singen, und sie erklärten daß sie es machen müssten, weil Gott der Sänger sei. Wie mit der Beziehung auf ‘Über Alles’ auf dem Umschlag, macht sich Zappa lustig über den aufgeblasenen romantischen Prunk von Hitler und den Nazis.
Auf einem Albumumschlag haben sich die Rolling Stones SS-Uniformen angezogen, um ‘dekadent’ zu erscheinen, und im Jahre 1983 hat Mark E. Smith von The Fall ein Tübinger Publikum mit einem "Sieg Heil" gegrüßt. War Frank Zappa einfach deutschfeindlich, als er sadistische schmerzhafte Erinnerungen vom Nazismus und vom Zweiten Weltkrieg wiederaufgreift, benahm er sich da in ähnlicher Weise die anderen Rockgruppen, die blöde anti-deutsche Witze benutzen? Nein. Zappa hatte ein schärferes Bewußtsein der Geschichte gegenüber. So ein tiefes Verständnis erklärt uns, warum seine Musik so beliebt war unter radikalen Geistern, sowohl in Westdeutschland wie in Osteuropa, auch wenn die Länder durch gegensätzliche Ideologien angeblich getrennt waren. Daß Zappa die deutsche Kultur lächerlich macht, entsprang nicht dem Hohn eines Außenseiters, eines ‘Amis’. Er stammte aus seinem Mitgefühl mit der fortschrittlichen modernistischen Kultur, die die Nazis unterdrückten – der Weimarer Kultur der Dadaisten. Das ‘Sofa’ Lied von Zappa greift die religiöse und politische Mystik an, in dem es die niedrigen Waffen des Klamauks und Sex verwendet. In dem Sinne ist Zappa wie der Dadaist Willi Baumeister, der eine Postkarte von Arno Breker, dem beliebtesten Bildhauer Hitlers, verunstaltete. [DIA 24 und 24a: Brekers Relief, Willi Baumeister's Gekritzel] Zappa selbst hat was über Dada gesagt:
Am Anfang wußte ich nicht mal, wie ich den Stoff nennen sollte aus dem mein Leben gemacht wurde. Ihr könnt euch vorstellen, wie glücklich ich war, als ich herausgefunden habe, daß irgendjemand in einem fernen Land dieselbe Idee gehabt hatte UND noch dazu einen netten kurzen Namen dafür erfand.
Unähnlich der New Yorker Kunstszene, die Marcel Duchamp umarmt hat, war Zappas Dada nicht konzeptionell oder kunstfeindlich. Es war eigentlich gar keine Kunst. Es war Popmusik – populär und zugänglich, kritisch und politisch. Es war eine Massenware, reiche Menschen sollten darin nicht investieren. Es sollten Leute auf der ganzen Welt zuhören, ohne dabei die Werte Cola-Colas und McDonalds bejahen zu müssen.
Auf der hinteren Seite von One Size Fits All gibt es einen Tierkreis, aber alle Sternbilder und Sternennamen hat Schenkel mit Anspielungen und Witzen ausgetauscht, die für Frank und die Mothers aktuell waren. Jedes Mal wenn Schenkel über sein Kunstwerk befragt wird, ist er immer wieder schockiert darüber, daß die Fans und Zappologisten so viele Deutungen hineinlesen. Zum Beispiel besteht er darauf. daß die Nummer ‘1348’ auf dem Schädelkopf auf der hinteren Seite vom Onkel Fleisch [DIA 25: Schädelkopf - Uncle Meat] einfach willkürlich sei. Aber das Jahr 1348 ist das Jahr des Schwarzen Todes in Europa, und der Untertitel vom Lied ‘Dog Breath’ ist ‘Im Jahre der Pest’!
Es gibt eine Fülle von Zufällen und Poesie in der Sternenkarte von Schenkel, aber ich werde es euch überlassen, die bizarren Zusammenhänge und die willkürlichen, alogischen Knoten zu enträtseln. Am Rande des Tierkreises erscheinen Worte, die ursprünglich auf der Bühne Pauley Pavillon in Los Angeles von Flo und Eddie am 7ten August 1971 gesprochen wurden - eine Aufnahme davon wurde auf dem Album Just Another Band From L.A. veröffentlicht. Ich möchte Richard Hemmings – dessen Deckname ‘Evil Dick’ ist – dafür bedanken, daß er darauf hingewiesen hat, daß diese Worte improvisiert von Flo und Eddie seien. Zappa wußte daß solche unvorbereiteten Momente reicher und interessanter seien, als wenn er alles beherrscht. Schenkel tat noch dazu die Phrase aus Lumpy Gravy: ‘Runde Sachen sind ... langweilig’. Damit will er eine totale Ablehnung von Tierkreisen und Horoskopen ankündigen, wegen ihres Entwurfs des menschlichen Lebens als einer kosmischen Kreisartigkeit – als Wiederholung, Schicksal.
Evil Dick schreibt zur Zeit eine Doktorarbeit an der De Montfort University in Leicester über die Willkürlichkeit. Er bemerkt, daß Zappa schon ganz früh vom Tonbandaufnehmen fasziniert war, aber nur selten – oder vielleicht nie – ‘tape loops’ oder wiederholende Tonbandschleifen verwendet hat (in Gegensatz, zum Beispiel, zu Brian Eno). Zappa hat die vollkommene Wiederholung in der Musik überhaupt nicht gern (das war seine wichtigste Kritik an Harry Partch). Er bevorzugt einzigartige musikalische Ereignisse. So ein Vorgang stimmt philosophisch mit Hegel überein, dessen Dialektik verweigerte, die sich entfaltenden historischen Ereignisse unter unveränderliche abstrakte Begriffe zu subsummieren. Es ist die Einmaligkeit der freien Assoziation von Flo und Eddie, die Zappa faszinierte.
Zappa liebte Dada, und seine Kunst zeigt die gleichen Prinzipien – die Freude des Spielens, der Chance und des Vorschlags, statt der beharrlichen Behauptung und der Richtigkeit. Immerhin waren die Dadaisten kein zufälliges Moment in der europäischen Kultur. Die Möglichkeiten, die sie vorhersahen, wurden durch den Nationalsozialismus und den Weltkrieg ausgelöscht. Ihr Angriff auf die toten kulturellen Formen wurde in der klassischen deutschen Philosophie vorweggenommen. Die künstlerischen Strategien von Dada und Zappa erscheinen willkürlich und irrational, sind aber in unmittelbarem Zusammenhang mit den tiefsten philosophischen Gedanken über die Demokratie. Die Kultur, die die Nazis okkupierten – indem sie taten, als seien die Reihen stupider konformistischer judenfeindlicher Professoren die Erben Platons, Goethes, Beethovens, Hegels – war ursprünglich eine Kultur der Kritik und der Freiheit. Dada und Zappa stehen für den revolutionären Klassizismus: eine Tradition, die, um sich zu erfüllen, heute gegen Sterilität und Kompromislertum rebellieren muß.
Ich nenne diese Vorlesung ‘Die Phänomenologie des One Size Fits All: Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Frank Zappa’ NICHT um zu behaupten, daß Zappa je Hegel gelesen hätte. Ich las Zappa meine eigenen Schriften kurz vor seinem Tode vor, und er sagte mir, daß er nie in seinem Leben irgendwelche philosophischen Texte gelesen hätte. Er sagte mir, daß er mich nicht mehr verstand, jedes mal wenn ich Theodor W. Adorno zitiert habe. Adorno kommt oft in meinen Schriften vor, weil dieser dialektische Philosoph Äusserungen zur Musik geschrieben hat, die eine Fülle von zutreffenden Einsichten in die harmonischen und lyrischen Entschlüsse Zappas liefern. Der Zusammenhang zwischen Hegel und Zappa ist keine Frage des Einflusses. Es handelt sich eher um ein wissenschaftliches Verständnis davon, was geschichtlich wahr und kulturell progressiv in einem Zeitalter der Warenherstellung sein mag.
Die Philosophie Hegels ist riesig und schwierig. Es scheint oft, als ob verschiedene Hegel-Kommentare von verschiedenen Philosophen handeln. Sogar Karl Marx und Friedrich Engels sagen an einer Stelle, daß sie seine treuen Schüler seien und, an einer anderen Stellen, daß er umgekehrt, "vom Kopf auf die Füße gestellt" werden müsse, daß sein Idealismus durch einen gründlichen Materialismus ersetzt werden müsse. Ich werde mich also hauptsächlich auf eine einzige Äusserung Hegels konzentrieren und werde dabei erklären, warum ich behaupten möchte, daß Dada und Zappa das philosophische Programm Hegels erfüllen, auch wenn sie keine Philosophen sind, sondern Künstler und Musiker.
Die Äusserung, die mich interessiert, kommt in der Phänomenologie des Geistes vor, ein frühes Werk das weit und breit verkauft wurde, und das den Ruf Hegels als radikaler Philosoph gefestigt hat. Es ist kein Zufall, daß es auch eine Äusserung ist, die Raya Dunayevskaya und der Kreis marxistischer Revolutionäre um sie in Detroit betont haben. Zusammen mit dem Revolutionär aus Trinidad, C. L. R. James, behauptete Dunayevskaya, daß das stalinistische Russland nicht sozialistisch, sondern eher ‘staatskapitalistisch’ sei, und verlangte deswegen ein erneutes Studium Hegel´s und seiner Dialektik. James und Dunayevskaya – wie Dada und Zappa auch – lehnten die herkömmlichen Annahmen über die Rolle des fortgeschrittensten Denkens und der fortgeschrittensten Kultur in der Gesellschaft ab. Für sie gehören die schönsten Ergebnisse des menschlichen Geistes nicht den Mächtigen und Privilegierten. James und Dunayevskaya behaupteten, daß die fortgeschrittensten sozialen Ideen ihrer Zeit von schwarzen Autoarbeitern in Detroit stammen. In der Tat, das Zitat, das ich euch gerade zeigen werde, war ein Lieblingszitat von Charles Denby, dem Autoarbeiter, der Notes & Letters herausgegeben hat. Notes & Letters ist die Zeitschrift des Dunayevskaya-Kreises in Detroit (diese Zeitschrift existiert heute noch, sie wurde auf der Anti-Krieg´s Demo im Februar verkauft).
In ihrer ‘Notizen über Hegels Phänomenologie’, geschrieben Dezember 1960, untersucht Raya Dunayevskaya die Äusserungen Hegels zur Kultur. Ihr Hinweis war:
wenn man im Auge behält, was Marx mit ‘Überbau’ ,gemeint hat, wird man die hegelsche Kritik der Kultur gut verstehen können. (The Power of Negativity: Selected Writings on the Dialectic in Hegel and Marx, S. 40).
Dunayesvskaya zitiert Hegel's Phänomenologie des Geistes. Das Zitat geht um das Leben als Prozeß und Vielfältigkeit – als andauernder Wechsel – anstelle von statischer Selbstständigkeit – eine philosophische Position, die Zappalogen vielleicht wiedererkennen werden als ‘Runde Sachen sind ... langweilig’.
Nichts hat einen in ihm selbst gegründeten und inwohnenden Geist, sondern ist außer sich in einem fremden, das Gleichgewicht des Ganzen [ist] nicht die bei sich selbst bleibende Einheit und ihre in sich zurückgekehrte Beruhigung, sondern beruht auf der Entfremdung des Entgegengesetzten. (Ullstein Fassung, S. 275)
Mit anderen Worten: es gibt keine selbstständige, unsterbliche ‘Seele’ nach platonischer oder christlicher Art. Die Menschen sind lebendige Vorgänge, wobei das Individuum die Natur bearbeitet (wie zum Beispiel beim Essen) und es richtet sich auf etwas, was nicht es selbst ist, was ihm sogar fremd ist (zum Beispiel auf sexuellen Verkehr oder den Tod). Trotz des Idealismus Hegels ist dieses Bild des Selbsts eigentlich dem Materialismus und der Naturwissenschaft ähnlicher als Vorstellungen der ‘Seele’.
Dunayevskaya zitiert Hegel, der von der Aufklärung in Frankreich im achtzehnten Jahrhundert spricht, und von der Kampagne gegen den religiösen Aberglauben und die Borniertheit, die Voltaire, Rousseau und Diderot angefangen haben. [DIA 26 & 26a: Zitat von Hegel - Phänomenologie §486]
Gegen den Glauben als das fremde jenseits liegende Reich des Wesens gekehrt, ist sie die Aufklärung. Diese vollendet auch an diesem Reiche, wohin sich der entfremdete Geist, als in das Bewußtsein der sich selbst gleichen Ruhe rettet, die Entfremdung. Sie verwirrt ihm die Haushaltung, die er hier führt, dadurch, daß sie die Gerätschaften der diesseitigen Welt hineinbringt, die er als sein Eigentum nicht verleugnen kann, weil sein Bewußtsein ihr gleichfalls angehört. (Ullstein Fassung, S. 276)
Hierin sagt Hegel voraus, wie Marx und Engels die idealistische Philosophie (die sie als eine neue Religion, namens ‘die Deutsche Ideologie’, angreifen) entweihen werden. Sie führen in die Philosophie die Begriffe "das Kapital, die Arbeit und die Miete", eben ‘die Gerätschaften der diesseitigen Welt’ ein. Hegel hat aber auch die Dadaisten vorhergesehen, die eine besonders übermütige Lustigkeit geschaffen haben, indem sie die Bilder häuslicher Geräte aus Versandshauskatalogen auf die transzendentalen Horizonte der Religion, Natur und Macht aufklebten. [DIA 27: Schwitters, Mz 151. Wenzelkind, 1921 – Elderfield s/w Illustration nr. 88] [DIA 28: Max Ernsts Two Young Girls Promenade across the Sky (1920) – Diane Waldmans Collage, Assemblage and the Found Object, 1992 S. 126] [DIA 29: ‘DADA’ aus V&A Library - Schwitters Plakat] [DIA 30: Schwitters' This was before HRH the late Duke of Clarence and Avondale. Now it is a Merzpicture. Sorry! – in Art: Das Kunstmagazin Nr. 1 Januar 1997, S. 23] Hegel hat auch vorhergesagt, wie Zappa ‘die Gerätschaften des Haushalts’ in die neuen Zufluchsorte des Glaubens: die Astrologie und den Glauben an UFOs hineinbringen wird. [DIA 31: Sternbild als Staubsauger - OSFA] [DIA 32: sofa - OSFA] Das erste Lied auf One Size Fits All, ‘Inca Roads’, verwendet Motive aus Chariot of the Gods and Was God an Astronaut? Diese sind Bestseller aus der Mitte der siebziger Jahre von Eric von Däniken. von Däniken behauptete, daß Erdarbeiten von den Inkas – gigantische Zeichnungen die sichtbar sind nur von weitweg hoch über dem Erdball – beweisen, daß die Götter, die die primitiven Menschen angebetet haben, eigentlich Besucher aus dem Weltraum gewesen seien. Mit einer unbekümmerten Keckheit dem Beweismaterial gegenüber, gibt von Däniken eine Inka-Inschrift wieder mit einem Mann innerhalb einer kleinen Hütte mit spitzem Dach, und besteht darauf, daß es ein Astronaut sei, der in einer Rakete sitzt. Auszüge aus seinen Büchern wurden weltweit in Boulevardzeitungen veröffentlicht.
George Duke singt auf ‘Inca Roads’. Wie so oft bei Zappa, ist es nicht einfach, seine eigene ‘Meinung’ zu ermitteln. 1974 and 1975 veröffentlichte George Duke Feel und The Aura Will Prevail, bei der deutschen Plattenfirma MPS. Zappa spielte bei zwei Liedern auf der ersten Platte (unter dem Name ‘Obdewl'l X’), und Duke coverte die Zappaschen Lieder ‘Echidna's Arf’ und ‘Uncle Remus’ auf der zweiten. Airto Moreira spielte auf beiden Alben. Der brasilianische Schlagzeuger war auch ein Mitglied der Fusions-Gruppe Chick Coreas Return To Forever. Corea verließ die Jazz-Avantgarde, als er sich zu L. Ron Hubbards Scientologie bekehrte. Manche Leute behaupteten, daß er Anweisung von Hubbard hätte, mit seiner Musik Geld zu machen. Return To Forever nahm Hubbards Mischung von Mystik und Science Fiction auf. Obgleich Zappa von Däniken und die mystischen Neigungen von modischen Soul- und Fusions- Bands satirisch behandelt, verwendete er die Stimme von jemandem, der mit dieser Szene etwas zu tun hatte (Zappa bewunderte die musikalischen Fähigkeiten des Mahavishnu Orchestras, aber ‘Cosmik Debris’ auf Apostrophe(') (1972) war nichtsdestoweniger ein Angriff auf Guru Sri Chinmoy, dem McLaughlin und Santana ihre Unterstützung auf Love Devotion Surrender (1973) zugesichert hatten).
In der Tat ist ‘Inca Roads’ beispielhaft für die Satire Zappas. Seine Kritik ist nicht explizit. Es scheint als ob er gerne die verrückten Fantasien von Dänikens mit sich trägt. Die folgende Frage ist sogar ziemlich ergreifend:
Did the Indians, first on the bill
Carve up the hill?
Haben die Indianer, als erste am Drücker,
den Berg mit Schnitzereien verziehrt?
Der Zuhörer soll sich die spirituellen Bestrebungen einer eroberten Kultur zur Kenntnis bringen. Aber alles wird komisch, als das UFO sich in ein ‘booger bear’ (anscheinend weiblich - hier wird auf den Armadillo Treffpunkt in Austin, Texas, wo das nächste Album aufgenommen wurde und auf die Musiker Ruth Underwood und Chester Thompson angespielt). Die Theorie von von Däniken verwandelt sich in eine Serie kindischer Witze, die nur den Bandmitgliedern verständlich sind. Die Leute beklagen sich über die Unverständlichkeit der Texte Zappas, aber die Witze aller Bands auf Tournee sind immer obskur, sogar für die Bandmitglieder selbst. Es gibt jedoch wenig Gruppen die Lieder dazu machen. Die Abneigung Zappas der Mystik gegenüber entstammt nicht wissenschaftlicher Akkuratesse und Erfahrungseinsicht, sondern eher einer Liebe zum Humor und seiner persönlichen Eigentümlichkeit.
‘Can't Afford No Shoes’ – ‘Kann´mir keine Schuhe leisten’ – ist ein Protestlied über den schlechten Zustand der Wirtschaft. Es enthält noch eine Kritik der mystischen Lösungen aller materiellen Probleme:
Chump Hare Rama, ain't no good to try
Das trottlige ‘Hare Rama’ lohnt sich die Mühe nicht
‘Sofa’ ist ein besonderes Lied im Gesamtkunstwerk Zappas. Es ist zweimal zu finden auf One Size Fits All – einmal wortlos und einmal mit Stimmen. Er hat es zwei Jahre später in einem anderen Arrangement wiederveröffentlicht. Diesmal auf Zappa in New York, wo er es als ein ‘geiler Walzer’ beschrieb. Er erwähnte, daß das Album ‘ziemlich unbeliebt’ sei. Es ist das erste Lied auf You Can't Do That on Stage Anymore Vol. 1 und diese 2CD-Sammlung schließt mit noch einer Fassung. Warum hat er gerade das Sofa, gerade dieses Haushaltgerät in die kosmischen Fantasien der Scientologen und UFO-Schwärmer eingeführt?
Wie ein Traum hat ein Symbol wie das Zappaische Sofa viele Bedeutungen. Bizarre ‘Zufälle’ nisten darin. Das Sofa ist ein tolles Beispiel von dem, was Gail Zappa das ‘Vor-Wissen’ Franks genannt hat. Es hat eine musikalische Resonanz. ‘Tonische sol-fa’ ist der Name für ein System das J.S. Cowan in England in den 1840ern eingeführt hat. ‘Sol-fa’ nennt die Noten der Dur-Tonleiter: ‘doh, ray, me, fah, soh, lah, te – doh’. Bei kabbalistischen Auslegungen der hebräischen Schrift ist die Deutung des Wortes ‘'en-sof’ viel umstritten. Rabbi Ben Zio Bokser, zum Beispiel, fängt sein Buch Die Kabbalistische Welt, eine Einführung in das Denken des Prager Rabbiner Judah Loew aus dem sechzehnten Jahrhundert, mit ‘En Sof’ an:
Gott ist ... En Sof, das Unendliche, das Uneingeschränkte Eins.
(S. 4)
Gershom Scholem hat darauf hingedeutet, daß in der hebräischen Schrift 'en sof' ursprünglich eine Phrase war, die ‘bis zur Unendlichkeit’ (Origins of the Kabbalah, S. 130) hieß, aber durch die ‘mystische Interpretation’ wird die Phrase ein Name für Gott, den Herrn. (S. 266). Das en-sof Problem wurde von jüdischen und christlichen Schülern im Mittelalter viel diskutiert. Scholem bemerkt daß:
Das was man, aus einem Blickwinkel, 'en-sof' nennt, aus einem anderen Blickwinkel, das Nichts oder der Urwille ist. (S. 443)
In seinen philosophischen Gesprächen ließ Platon Sokrates von der ‘idealen Form des Sofas’ erzählen: in jenem Fall ist es ein antikes Sofa. In der britischen analytischen Philosophie wird öfter ein Stuhl oder ein Tisch dazu verwendet, um philosophische Begriffe oder Probleme auszudeuten. Abstraktes Denken beginnt damit, was man gerade zur Hand hat. Es gibt nichts, was so fundamental – oder nötig ist für einen Menschen, der liest, als das, worauf wir uns hingesetzt haben. Diese Tatsache wird vergessen, wenn die Philosophie den Mensch hinter der philosophischen Vorstellung vergißt und stattdessen erhaben wird, hochgestochen und ehrfürchtig – eben die Charakteristika der Religion, die Zappa haßte. Aber warum das Sofa und nicht der Stuhl oder der Tisch (die natürlich auf dem Umschlag erscheinen, nur eben in Form der ‘Chrome Dinette’)?
Wie das Klavier als Instrument, ist das Sofa ein bürgerliches Möbelstück par excellence. Im Jahre 1785, veröffentlichte der englische Dichter John Cowper ein langes Gedicht mit dem Titel The Task – Die Aufgabe. Sein erstes Teil hieß ‘Das Sofa’ und fängt so an:
Ich singe das Sofa. Ich, der neulich von
Der Wahrheit, der Hoffnung und der Barmherzigkeit sang,
Und ehrfürchtig berührte die feierlichen Akkorde Und mit zitternder Hand, entfloh voll Schmerzen
Jener abenteuerlichen Flucht
Jetzt suche ich Ruhe bei einem bescheidenen Thema ...
Der Dichter erklärt wie das Thema des Sofas ihm durch eine gewisse Dame vorgeschlagen wurde. Dadurch wurde es eine Aufgabe, die er nicht verweigern durfte. Indem er die ersten Zeilen eines epischen Gedichts von Homer oder Vergil parodiert, suchte Cowper das Gegenteil des heroischen. Das findet er in der bürgerlichen häuslichen Gemütlichkeit – wie üblich befindet sich dort eine anziehende Frau.
In One Size Fits All, bringt Zappa ein ähnliches falsches Pathos zum Ausdruck im Liede ‘Evelyn, a Modified Dog’. In diesem Lied hören wir, wie ein Hund auf den harmonischen Wiederhall reagiert. Die Stimmung des Liedes entstammt den langen Titeln (so lang, daß sie fast Gedichte sind), die der Künstler, Donald Roller Wilson seinen Ölbildern gibt. Es lauert etwas sexuelles, überreifes und alptraumhaftes im Interieur des bürgerlichen Salons. Theodor Adorno, aufmerksam wie immer zur Iconographie der Klassengesellschaft, kritisierte scharf
das spießbürgerliche Convenu vom Leib, der auf dem Kanapee bleibt, während die Seele sich in die Höh' schwingt (Ästhetische Theorie, Suhrkamp, S. 151)
Indem er ein Sofa auf den Albumumschlag setzt, versetzt Zappa den kosmischen Ambitionen der Scientologie und der Fusions-Bands einen Stich. Das Sofa bringt dem Zuhörer zur Kenntnis, wo er – oder sie – eigentlich ist in der Welt: zu Hause sitzend, beim Plattenspielen. Solcher Spott ist nicht einfach grausam und engstirnig gemeint. Ein Mensch, der auf einem Sofa sitzt und eine Platte hört – und vielleicht noch dabei eine Zigarre raucht, oder das Sofa befragt ‘Divan, Divan weißt du wer ich bin?’ – besitzt ein Bewußtsein, das das Universum wahrnimmt und, in dem Sinne, ist es schon göttlich.
Das Lied am Ende der ersten Seite von One Size Fits All – zumindest in der Vinylfassung – ist ‘Po-Jama People’. In einem Interview, erinnerte sich Zappa an die altmodischen Schlafanzüge, die er und seine Familie getragen haben als er noch Kind war.
Die kleine Falltür hinten
beschreibt eine Öffnung im Hosenboden des einteiligen Schlafanzugs (One Size Fits All!), die es den Trägern möglich macht, aufs Klo zu gehen, ohne sich ausziehen zu müssen. In einem anderen Interview erklärte Zappa, daß ‘Po-Jama People’ sich um die Musiker in der Grand Wazoo Band handelt – Profi-Musiker, die in der Freizeit Schach spielten, und nicht bei den extrovertierten Streichen solcher Musiker wie Napoleon Murphy Brock, Ruth Underwood und Chester Thompson mitmachten.
Die ersten Zeilen schreiben das berühmte Kinderlied um:
Erbspüree warm, Erbspüree kalt,
Erbspüree in dem Topf neun Tage alt
und die Musik – im Grunde ein aufwendiges Gitarrensolo, während die anderen Musiker, insbesonders George Duke, krachend mitspielen – ist heiser, unstimmig, taktlos und chaotisch. Ganz passend bildet diese Musik den musikalischen Gegensatz zum ordentlichen Kammerjazz des Grand Wazoos. Es ist auch völlig verschieden vom engen Neu-Klassizismus der Fusions-Gruppen wie Return To Forever. Seine Vorliebe für diese wilde Rock-Musik erklärt, warum Zappa im nächsten Jahr Grand Funk Railroad produzierte – Good Singin' Good Playin' (EMI) – eine Entscheidung, die viele Kritiker verblüffte. Für die Kritiker waren Mark Farner und George Duke einander ganz unähnlich: und deshalb muß Zappa schizophren sein. Eigentlich sind die Musik Zappas und die soziale Einstellung Zappas einerlei: was Zappa nicht leiden konnte, war die Unterdrückung der Persönlichkeit unter abstrakte Schemata. Deswegen betonen seine Alben die Kontingenz, das Zufällige, das Versehentliche und das Idiosyncratische. (Und natürlich wissen wir jetzt auch, daß ‘Po-Jama People’ sich eigentlich auf eine komische Art von Negativ-Dialektischen Pataphysiker aus Norwegen bezieht.)
In einem Interview bezeichnet Zappa ‘Florentine Pogen’ als ein Liebeslied. Harmonisch stammt es aus ‘Penguin In Bondage’, eine Tonart, die später nochmal für ‘Jewish Princess’ und ‘Fine Girl’ benutzt wurde. Im Gegensatz zu diesen beiden Liedern, ist die Stimmung nicht provokatorisch oder zynisch. Wie beim Text von Onkel Fleisch scheinen die Worte aus einer willkürlichen Serie von Silben, Träumen, Neurosen und Witzen wissenschaftlich aufbereitet zu sein.
Sigmund Freud schrieb Bücher über Träume, Neurosen und Witze. Die Lieder Zappas widersetzen sich der üblichen Deutung, aber sicherlich laden sie zur Psychoanalyse ein. Wenn es ein Liebeslied ist, dann ist ‘Florentine Pogen’ ganz einmalig mit seiner Fülle von abgeschmackten, mechanischen und total unromantischen Worten. Wer sonst könnte ein Liebeslied mit ‘Keilriemen’, ‘Batterien’ und ‘Krebs-Kuchen’ entwerfen? Wie bei ‘Inca Roads’ verschwindet der Sinn in der Albernheit auf der Bühne und dem Affenanzug von Roadie Marty Perellis. Die Lieder Zappas verweigern jede unmusikalische Deutung. Der Sinn des Ganzen liegt in der wunderschönen, hochtrabenden Kraft des Arrangements, in seiner rituellen, berauschenden Pracht, und den Musikern, deren Anstrengungen es alles möglich machten. Sobald die Musiker die Melodien gelernt hatten, sagte Zappa, daß die aufgeschriebenen Noten ins ‘Muskel-Gedächtnis’ übergingen. Ein Grund dafür, warum die Platten Zappas so gut sind, im Vergleich zu denen von zeitgenössischen klassischen Komponisten und erfundenen Pop-Gruppen, liegt darin, daß er nur Aufnahmen mit Musikern, die mit ‘Muskel Gedächtnis’ spielten, machte – die Leistungen waren statt bewußt eher instinktiv.
Hegel verstand diese Art Wissen. In der Logik spricht er von einem ‘Wissen das den Gliedern innewohnt’ [Logik §66]. Zappa war jedoch kein Nihilist. Bemerkt wohl, daß Zappa von der wissenschaftlichen Bearbeitung einer willkürlichen Serie von Silben, Träumen, Neurosen und Witzen sprach. Wie ein Zwölfton-Komponist, der sich einer willkürlichen Tonreihe schoenbergscher Inversionen und Umkehrungen aussetzt, oder wie Dadaist Kurt Schwitters, als er das Packpapier eines Stück Käse auf eine Leinwand klebt, richtet Zappa seine Aufmerksamkeit auf den Müll, den er zusammengestellt hatte. Zum Beispiel die letzten Zeilen
Hratche-plche
Hratche-plche
[DIA 33: wie es im Inlet von One Size Fits All buchstabiert wird] von ‘Florentine Pogen’ ist die Niederschrift eines Mundgeräusches – aber sein Vorkommen am Ende des Liedes ist sehr wohl überlegt. In der ursprünglichen Niederschrift der Worte von ‘Brown Shoes Don't Make It’ – die in der Zeitschrift International Times, an 13ten September 1967 gedruckt worden war, nachdem MGM sich geweigert hatte, einen Blatt mit Texten dem Album beizulegen – werden die Zeilen:
Aber hinten im Bett rockt und rollt und benimmt sich obszön
Seine Teenager-Königin
Baby! Baby! Baby! Baby!
von den Zeilen
Hratche-plche, Hratche-plce
Hratche-plche, Hratche-plce
gefolgt Diese Zeilen fehlen bei der Fassung, die im Plastik People Songbuch Carl Weissners (herausgegeben von Zweitausendeins im Jahre 1977) erschien. Sie fehlen auch beim CD-Release. In der Tat habe ich einen Paranoia-Anfall gehabt, als ich versuchte, sie wiederzufinden. Ich hatte noch die Notizen, die ich 1974 geschrieben habe. Ich konnte aber die International Times nicht mehr auftreiben. Wie jeder, der sich in einer Zappaklemme befindet, rief ich meinen Zappaguru an. Mein Zappaguru heißt ‘Gamma’. Er war nicht zu Hause. Er war im Park mit seinem Pudel Jakes. Ich hinterließ eine Nachricht am automatischen Telefonanrufbeantworter. Er tat das Gleiche. [AUDIO: Gamma ließt aus International Times am Telefonanrufbeantworter] Warum kümmere ich mich um diese Kleinigkeiten der Zappalogie? Warum habe ich die Rede Gammas aufgehoben? Gerade deswegen, weil solche Einzelheiten gut zeigen, wie jedes Motiv, bis zum letzten Buchstaben, für Zappa eine poetische Resonanz behielt, die man beachten muß. Deshalb bringt sein Gesamtkunstwerk vieles für die Zappafreunde, die ihm eine obsessive Aufmerksamkeit schenken. ‘Hratche-plche’ war ein privates Symbol für das Abschreiben eines geilen Mundgeräusches. Dies benutzte er sowohl für die sabbernden Bürokraten im Rathaus und auch für den Schluß des Liebesliedes ‘Florentine Pogen’. Für Zappa sind die sexuellen Wünsche objektiv. Es gibt keine ‘schlechten’ Wünsche und keine ‘gute’ Liebe – eine Unterscheidung, die sich eigentlich in der folgenden Weise übersetzt: die sexuellen Wünsche anderen Menschen sind ‘schlecht’ und meine eigenen sind ‘gut’. Zappa verabscheute alles Reden von ‘gut’ und ‘schlecht’: das einzige Problem für Zappa ist die Blockierung oder Unterdrückung des Eros, wo auch immer es sich findet. Diese amoralische Einstellung ähnelt der Psychoanalyse, die die sexuellen Triebe als Tatsachen, statt als sündhaft, behandelt. Es ähnelt auch Hegel, der die Scheinheiligkeit konventioneller Frommer verurteilt. Wie Hegel in der Phänomenologie des Geistes bemerkt:
Das Bewußtsein der Tugend aber ruht auf diesem Unterschiede des Ansich und des Seins, der keine Wahrheit hat. (Ullstein Fassung, S. 222)
Hegel weist die nutzlosen, frommen Wünsche der konventionellen Moralität zurück – für ihn sollen Wirklichkeit und das Denken übereinstimmen. Ohne daß er es wußte, war Zappa Hegelianer.
‘San Ber'dino’ führt ‘Kartoffelkopf Bobby’ ein. Er kehrt wieder in ‘Advance Romance’ (Bongo Fury) und Thing-Fish. Er ist Symbol des nicht-intellektuellen Proletariers, eine Quelle für alles, das Zappa gerne hat, wenn er auf Blues und Rock kommt – die physische Unmittelbarkeit und die Verweigerung der Scheinheiligkeit, sogar seine Häßlichkeit (im Gegensatz zur Homogenität, die die Schönheit mit sich bringt). Die Musik ist Klassik-Rock – voll zum Inhalt passend. Wir treffen ein Liebespaar, das im Wohnwagen wohnt und sein Leben beim Herumfahren auf der Autobahn verbringt. Treffend war es, daß Zappa die Stimme Johnny ‘Guitar’ Watsons benutzt hat. Die erste Platte von Johnny ‘Guitar’ Watson, auf King Records – unter den Namen ‘Young John Watson’ – war ‘Motorhead Baby’, eine Hymne an Autos, die er zusammen mit Mario Delagarde geschrieben hat. Delagarde war Bassist aus Puerto Rico, der mit dem Johnny Otis Orchester spielte und Seminare über Marxismus-Leninismus und Dialektik im Tourneebus gehalten hat. Gestorben ist er, als er gegen Battista in Kuba Mitte der fünfziger Jahre gekämpft hat. Die Stimme von Johnny ‘Guitar’ Watson, stark und durchdringend wie ein Saxophon, drückt die Aufregung und Energie Kaliforniens aus – ein Land der Möglichkeiten, besonders für einen armen Schwarzen aus Texas.
Die Worte von ‘Andy’ kann man nur im Zusammenhang mit der Musik besprechen. Mit ‘Andy’ kommt Zappa näher als je zuvor an Edgar Varèse heran, aber ohne Orchester. Stattdessen benutzt er Rock-Instrumente und ein Rock-Studio. Andy de Vine war Filmschauspieler in billigen Cowboy-Filmen, und das ganze Lied ist eine Untersuchung der Oberflächlichkeit: wie sollen wir wissen, ob ein Mensch eigentlich so sei, wie das, was er über sich selbst sagt? Meisterhaft verwendet Zappa den Gegensatz zwischen den Stimmen George Dukes und Johnny ‘Guitar’ Watsons. Die Stimme George Dukes ist intim, rauchig und lustig. Sein Mund kommt nah an das Mikrophon heran. Die Stimme klingt tief und voll mit menschlicher Wärme. Die Stimme Johnny ‘Guitar’ Watsons ist aalglatt und undurchlässig und hart, so laut, daß das Mikrophon mindestens einen halben Meter entfernt gewesen sein müßte. Die beiden Stimmen wechseln ab, eine Inszenierung der Frage des Liedes: ist es möglich herauszufinden, was die Dinge sind, nur dadurch, das man die Oberflächen wahrnimmt? Ist das Innen wahr oder das Außen? Oder ist alles Äußerliche eine Fälschung, eine Landschaft von Hollywood-Kulissen? Ansich oder Sein?
Hegel meinte:
Das Verschwindende ist vielmehr selbst als wesentlich zu betrachten ... (Ullstein Fassung, S. 36)
Jeder, der nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, muß Hegel an diesem Punkte ernst nehmen: wir sind zwar als sterbliche Wesen ‘verschwindend’, aber nichtsdestoweniger ‘wesentlich’. Eine solche Bemerkung ist natürlich für die traditionelle – das heißt platonische – Philosophie undenkbar.
Wenn es um Schönheit gehe, sagte Hegel, müssen wir den Inhalt an der Oberfläche suchen (Vorlesungen über die Ästhetik (Einleitung) §32). Zappa benutzt solche dialektische Logik: wir durchbrechen nicht die unbedeutenden Einzelheiten seines musikalischen Aufbaus , um dort eine ‘tiefere Bedeutung’ zu finden. Bei konventioneller Pop-Musik löscht die emotionelle Reaktion die musikalischen Einzelheiten aus. In Zappa findet der Zuhörer Bedeutung, indem er die musikalische Oberfläche beachtet: hier sind alltägliche Dinge für eure Aufmerksamkeit zusammengesammelt.
Zappa meinte, daß seine Musik etwas gemeinsam hat mit den Mobilen von Alexander Calder:
In meinen Stücken verwende ich ein System von Schwerpunkten, Gegengewichten, Höhepunkten und Spannungsbögen – zum Teil wie die Ästhetik von Edgar Varèse. Die Ähnlichkeiten sind am Besten durch den Vergleich mit einem Calder-Mobil illustrierbar:: ein buntes Dingsbums, das herumschwebt, und aus großen Metalltropfen besteht, die mit Drahtstücken verbunden sind, genial im Gleichgewicht gehalten durch kleine metallene Dingelchen auf der anderen Seite... In meinem Fall sage ich: ‘Eine große Masse irgendeines Materials wird mit einer kleineren dichten Masse irgendeines Materials ausgeglichen, indem eine Übereinstimmung mit der Länge des Dings, worauf es schwebt, und des Gleichgewichtspunkts, der das Schweben ermöglicht, gefunden wird’. (The Real Frank Zappa Book, dt. Ausgabe S. 184)
In dem instrumentalen Teil von ‘Andy’ werden Trommeln, Bass, Orgel, Gitarre und Schlagzeug einzeln eingeführt. Es ist als ob man die Spannung ermessen möchte, die die Geräusche aufeinander ausüben. Das Lied soll man im Zusammenhang mit dem Schaubild Schenkels auf der hinteren Seite des Umschlags anhören. [DIA 35: Landschaft hinten - OSFA] Schenkel stellt nebeneinander Ideen vom Menschen unter der Haut und von der Erde unter ihrer Kruste. Die Ameisen sehen aus wie beim Spielzeug eines amerikanischen Kindes. Die Spaltung San Andreas zerstört Hollywood und schluckt winzige Spielhäuser und -hotels.
In ‘Andy’ gibt es ein musikalisches Moment, das dieser Spaltung ähnlich ist: eine kurze klappernde Schlagzeugstelle, die die Schlußzeilen Johnny ‘Guitar’ Watsons einleitet. Augenblicklich wird die metrische Spannung des Liedes aufgelöst. Dieser Moment ähnelt den ‘Kommas’ von Pythagoras and Didymus, die die Beziehungen zwischen den Tönen verschleiern, um eine dynamische und logische Beziehung zwischen denselben zu erzeugen: ein Fehler der alles ermöglicht.
Auf der anderen Seite der Welt, in Kopenhagen und Paris, hat der Maler Asger Jorn ähnliche Positionen wie Zappa eingenommen. Obwohl die Einstellungen und Grundsätzen Zappa´s unüblich sind für den Rock und Pop nach den sechziger Jahren – sein Abscheu gegenüber der konventionellen Schönheit und Berühmtheit, sein Zynismus gegenüber der Schauspielerei, sein Angriff auf normative Werte – sind sie doch zentral für den künstlerischen Modernismus im Nachkriegs-Europa.
Kritisch dem amerikanischen Kapitalismus und sowjetischen Kommunismus gegenüber, definierte Asger Jorn die Kunst als permanenten Angriff auf das Normaldenken. In Die Natürliche Ordnung, ein Buch das er 1960 als erste Mitteilung des Skandinavischen Instituts für vergleichenden Vandalismus veröffentlichte, behauptete er, daß die positivistische Wissenschaft, weil sie nur der Mehrheit der experimentellen Ergebnisse vertraut, wie die Sozial-Demokratie, die den Willen der Mehrheit durchführt, beide die Auslöschung von Minderheiten implizieren. Auch Zappa versteht die faschistischen Auswirkungen des normativen liberalen Denkens. Thing-Fish wurde als Polemik auf der Seite der Unterdrückten, der Komischen und der Häßlichen geschrieben. Jorn und Zappa betonen beide gleich die tierische Grundlage des menschlichen Seins: Sex und Instinkt, statt repressiver Ratio.
Daß der Mensch für Jorn tierisch sei, wird - für Jorn - eine Kritik Platons und eine Kritik von jeder Art transzendentalem Idealismus, der danach folgte. Im Gegensatz zu den Pflanzen, meinte Jorn, sind die Tiere orientiert. Sie suchen etwas zu essen und nehmen das durch den Mund vorne ein, und scheißen den Abfall hinten wieder aus. Das heißt, die Tiere können ihre Richtung immer wählen. In Gegensatz zu den Tieren, existieren die Pflanzen auf nur einer Ebene: oben nach dem Licht, unten für das Wasser.
Auf Französisch, sagte Jorn, heißt die Orientierung ‘sens’, wie das englische Wort ‘sense’. Bedeutung ohne Orientierung muß man ‘Unsinn’ nennen. Deswegen ist das platonische Ideal der Schönheit, das Symbol der vollkommenen Sphäre, zugleich die Definition des reinen Unsinns. Peter Shield, Asger Jorn , S.
Als Zappa die Aussage ‘Runde Sachen sind ... langweilig’ auf Lumpy Gravy und auch auf One Size Fits All druckte, äußerte er die gleiche Idee.
Also, zum Schluß, möchte ich sagen, daß die Phänomenologie des One Size Fits All dialektisch und hegelianisch ist: sie stellt sich allen festen, metaphysischen Begriffen entgegen, die das menschliche Bewußtsein davon abhalten, sich selbst zu erfüllen. Das erklärt, warum das Gesamtkunstwerk Zappas so reich ist an Themen aus dem Faust von Goethe und Doktor Faustus von Thomas Mann, Bücher, die Zappa nie gelesen hat. Zappa entstammte der gleichen ästhetischen und politischen Orientierung, einer Orientierung, die man nur selten in der amerikanischen Kultur findet, und wenn doch, dann nur bei der Blues und Funk-Musik. Die außerordentliche Art, wodurch Zappa die besten Hoffnungen der europäischen Avantgarde erfüllte – nur mit der Musik von Webern, Stravinsky und Varèse als Berührungspunkte -, ist unheimlich: ein ‘Zufall’ den man noch weiter erforschen könnte, als ich hier tun durfte. [DIA A: OTL Postkartencollage] [DIA B: OTL Postkartencollage] [DIA C: OTL Postkartencollage] [DIA D: OTL Postkartencollage] [DIA E: OTL Postkartencollage] [DIA 36: Ausschnitt aus Asger Jorns Décollage (1964)]
Anti-©: Übersetzer/in Esther Leslie, Carsten Passin
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